(K)eine Angst vor der neuen Welt
Martin Gross, Landesbezirksleiter ver.di Baden-Württemberg: Über die Chancen und Risiken hybrider Arbeitsmodelle und eine neue Art der Führung.
nuwo-Academy – Lisa Rosa Bräutigam, Gründerin von nuwo, im Gespräch mit Martin Gross, Landesbezirksleiter ver.di Baden-Württemberg.
Herr Gross, zunächst einmal eine Verständnisfrage: Was unterscheidet mobiles Arbeiten von Homeoffice?
Mobiles Arbeiten ist im ursprünglichen Sinne das Arbeiten von unterwegs. Daher kommt ja der Begriff „mobil“ – Dinge die traditionell im Büro erledigt wurden, werden nun von unterwegs getätigt mit Smartphone und Laptop. Homeoffice ist der klassische Arbeitsplatz, der zu Hause eingerichtet wird. Wenn heute über Homeoffice gesprochen wird, wird meist alles zusammengewürfelt. Wir hatten aber auch schon vor Corona viele Arbeitsformen, die unter den Begriff mobiles Arbeiten fallen.
Arbeitslandschaft Post-Covid: Wie wird sich die Arbeit der Zukunft aus Ihrer Sicht verändern?
Das ist sehr spannend, da gibt es aus meiner Sicht unterschiedliche Entwicklungen: Einige Führungskräfte merken gerade, dass es nicht so einfach ist, Teams auf diese Art und Weise zu führen, was dann zunächst einmal zu einem Rollback führen wird. Das heißt, viele Arbeitgebende werden versuchen, ihre Mitarbeitenden zurück in die Büros zu holen. Andere sind überzeugte Vertreter:innen neuer Arbeitsweisen – neudeutsch ausgedrückt, des hybriden Arbeitens. Einer Mischform aus der Präsenzzeit im Büro und der Arbeit zu Hause, die also beide Welten vereint.
»Es wird eine umfassende Auseinandersetzung stattfinden zwischen klassischen Arbeitsformen im Büro und dem hybriden Arbeiten. Ich glaube, da wird eine starke Dynamik entstehen.«
Diese Entwicklung bringt auch gesellschaftlich große Herausforderungen mit sich: Wir merken, dass wir das Führen auf Distanz, also das digitale Führen, nicht gelernt haben. Die Kommunikation hat rückblickend immer nur in Meetings stattgefunden, insbesondere wenn es um das Treffen schwieriger Entscheidungen geht. Man wird Programme benötigen für den Umgang mit dieser neuen Führungskultur. Dies wird eine spannende Auseinandersetzung sein und diese muss man gestalten. Ich glaube, wer zukünftig Arbeit neu organisieren will, muss sich klug überlegen: Wann benötige ich die soziale Beziehungsebene, was kann ich digital abbilden, was geht nur persönlich? Dann werden wir auch eine andere Debatte benötigen, was die Ausstattung zu Hause anbelangt.
Momentan wird oft mit der Hand am Arm gearbeitet – wir haben keine Ausstattung, die ergonomisch ist, zu Hause und wenn wir tatsächlich eine veränderte Arbeitslandschaft für die Zukunft wollen, wird es zwangsläufig Diskussionen in Sachen Arbeits- und Gesundheitsschutz geben müssen.
»Es wird also die Frage zu klären sein, wie man die Mitarbeitenden zu Hause professionell und sicher einrichtet. Ich denke also, wir werden perspektivisch mehr Homeoffice in hybriden Arbeitsformen haben – auch Post-Covid.«
Wo liegen aus Ihrer Sicht die Chancen eines hybriden Modells?
Die Chancen liegen auf verschiedenen Ebenen: Ein hybrides Modell bietet die Chancen, dass einerseits die Sozial-Beziehungsebene persönlich gestaltbar ist. Ein wichtiger Aspekt ist überdies, dass viele unnötige Arbeitswege eingespart werden können – über die ökologische Frage haben wir ja noch gar nicht gesprochen. Im hybriden Modell sehe ich eine große Chance, zu weniger Indiviualverkehr zu kommen. Meiner Meinung nach würden wir einen großen Entwurf benötigen, der über 10 bis 20 Jahre denkt. Wir benötigen für das Gelingen des hybriden Modells kleinere Büros, vielseitiger verwendbare Büros, sogenannte Share Desks zum Beispiel. Dies bietet dann wiederum die Chance, veränderte Städte bewohnen zu können, also dass wieder mehr Menschen zurück in die Stadtzentren ziehen können und sich diese nicht zu wohnleeren Räumen entwickeln, weil sie einfach zu teuer sind. All dies sind Chancen einer veränderten Arbeitslandschaft, aber natürlich an einen langwierigen Prozess geknüpft und nicht von heute auf morgen realisierbar.
Das klingt sehr visionär, doch nicht jeder bringt diese Fähigkeit zur Weitsicht mit. An welchen Stellschrauben sollten Arbeitgebende schleunigst drehen?
Die Arbeitgebenden sind ja nunmal von jeher diejenigen, die man am ehesten über die Frage des Geldes bekommt. In dieser Hinsicht glaube ich, dass in der Flächeneinsparung sowie einer effektiveren Flächenbewirtschaftung tatsächlich die Musik spielt. Wir werden für die Menschen, wenn wir hybrid arbeiten wollen, mehr tun müssen. Nämlich einerseits, dass man auch zu Hause gesünder arbeiten kann, denn hier passiert gerade viel Mist, wenn ich das so sagen darf.
»Wir werden in der klassischen Ausstattung des Arbeitsplatzes an sich nicht sparen können, wenn man Arbeit gut organisieren will.«
Aber man wird es in der verfügbaren Fläche, die man bewirtschaftet, einsparen können. Die Summen, die hier eingespart werden können, übersteigen höchstwahrscheinlich sogar die Kosten ausgestatteter Heimarbeitsplätze. Hier liegt der springende Punkt, der auch für Arbeitgebende ausschlaggebend sein wird.
Es gibt jedoch eine Voraussetzung gelingender Arbeit zu Hause – neben einer professionellen, ergonomischen Ausstattung. Nicht immer kann ich im Homeoffice Dinge wie Familie, Partnerschaft und Beziehung besser organisieren; dies kann nur gelingen, wenn die Stützen unserer Gesellschaft funktionieren. Und diese heißen Kinderbetreuung, eine gute frühkindliche Bildung, funktionierende Schulen und eine damit einhergehende Digitalisierung in diesem Bereich. Gerade Frauen fallen in diesen Tagen wieder in die klassischen Rollen zurück, an ihnen bleibt die Mehrfachbelastung aus Haushalt und Kindererziehung einseitig hängen. Dies gilt es zu verhindern. Der soziale Sektor aus Schule, Erziehung, Bildung und Gesundheitsversorgung wird weiterhin analog organisiert werden müssen. Ohne diese stabilen gesellschaftlichen Stützen wird hybrides Arbeiten sein Potenzial nicht in Gänze entfalten können.
Momentan fühlen sich viele Arbeitnehmende zu Hause allein gelassen. Dennoch ist der Wunsch, auch Post-Covid zumindest tageweise im Homeoffice zu arbeiten, ungebrochen. Woran liegt dies aus Ihrer Sicht?
Ich glaube, das liegt auch mit am Verkehr. Ich sehe es im Raum Stuttgart, wie viele Menschen dort täglich einpendeln. Dies ist für die Menschen ein wichtiger Punkt, sie erkennen, durch weniger Anreisezeit arbeite ich zu Hause sogar produktiver und effizienter, da ich weniger Zeit auf der Straße, in der S-Bahn oder dem Zug verbringe.
Ein anderer Faktor ist, dass sich momentan viele Menschen in Notsituationen befinden. Schulen und Kitas sind geschlossen oder laufen nur auf Notbetrieb und ich muss, wenn ich voll berufstätig bin, Job und Kinderbetreuung unter einen Hut bringen. Dann sehne ich mich wahrscheinlich nach den entspannteren Tagen im Büro mit meinen Kolleginnen und Kollegen.
Lassen wir die Covid-Situation einmal kurz außer Acht und gehen davon aus, die Schulen und Kitas funktionieren wieder, dann werde ich an meinen Homeoffice-Tagen ganz neue Erfahrungen machen können: Ich kann in Ruhe konzentriert zu Hause arbeiten und kann sehr produktiv sein. Dann wird die Arbeit von zu Hause einen ganz anderen Stellenwert einnehmen. Natürlich gibt es Bereiche, bei denen es auch weiterhin unverzichtbar ist, zusammenzukommen und persönlich zu kommunizieren.
»Es gibt aber Tätigkeitsfelder, da ist es schlicht und einfach unnötig ins Büro zu gehen, da ich diese Tätigkeiten genauso gut von daheim erledigen kann.«
Viele Geschäftsreisen wird es so meiner Meinung nach auch nicht mehr geben, denn wenn ich an einem Meeting teilnehme, das von 9–17 Uhr angedacht ist, hat es keinen Sinn, sich ins Auto zu setzen. Wenn die Telco steht und der Arbeitsplatz zu Hause eingerichtet ist, spricht alles dafür, dies zu nutzen. Ich glaube und hoffe darauf, dass viel ökologischer Unsinn, den auch wir getrieben haben – da schließe ich mich gar nicht aus –, nicht mehr stattfinden wird, weil man merkt, dass es auch so funktioniert.
Die Arbeitslandschaft Post-Covid wird von einer neuen Balance geprägt sein, aus Präsenzzeit im agilen Office und einer effektiv gestalteten Arbeit zu Hause. Was würden Sie Arbeitgebenden raten, die noch immer auf Präsenzpflicht pochen und von einer 100%-igen Auslastung ihrer Büros träumen?
Dies sind die zwei Ebenen, die ich bereits angesprochen habe: Einerseits die Führungsinstrumente zu überprüfen und sich ehrlich zu fragen, ob man Führung auf Distanz gelernt hat oder ob man dazu Prozesse organisieren muss. Ich bin der Meinung, zweiteres ist der Fall. Andererseits rate ich den Arbeitgebenden einen Blick in den Mietspiegel von Baden-Württemberg in den jeweiligen Städten – Stuttgart Platz 1, Tübingen Platz 5, was die Flächenentwicklungskosten anbelangt. Unsinnig ist zu sagen, wir machen es so oder wir machen es so und zwar nur Schwarz-Weiß. Wir leben in einer veränderten Welt, wichtig ist es, einen Plan zu haben. Wenn ich heute einen Mietvertrag unterschreibe, muss ich ein Flächennutzungskonzept erarbeiten.
»Share Desks, kommunikative Zonen, Bereiche der Begegnung – der persönliche Arbeitsplatz wird auf dem Rückzug sein.«
Ich rate definitiv nicht dazu, Angst vor der neuen Welt zu haben und an der alten festzuhalten. Man sollte sich überlegen: Was wollen wir verändern, wie viel Zeit benötigen wir dazu? Und sich auf diesen Veränderungsweg zu begeben und dessen Chancen zu erkennen. Wir brauchen keine Städte, in denen abends um 9 Uhr kein Mensch mehr unterwegs ist, weil sie lediglich der Arbeit dienen. Wir befinden uns in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess des Wandels, so sollten wir die neue Entwicklung auffassen.
Ein sehr schönes Plädoyer, vielen Dank dafür. Sie haben sehr viel Erfahrung mit den verschiedenen Sichtweisen von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden. Wie erleben Sie in dieser Hinsicht die Krise, die einen Zeitenwandel für die Arbeitswelt mit sich bringt? Wird näher zusammengerückt oder ist das Gegenteil der Fall?
Das ist eine gute Frage, aber ich fürchte, darauf gibt es keine klare Antwort. Ich denke, das ist sehr unterschiedlich, ich erlebe alle Formen. Ich erlebe die Vereinzelung, dass viele Menschen sich abgeschottet fühlen. Ich glaube einerseits an diesen Zeitenwandel, spüre aber auch den Durst nach Begegnung. Das monatelange Zurücknehmen führt zu einem Mischmasch der Unzufriedenheit mit der Krisensituation und diese überträgt sich natürlich auch auf den Arbeitsalltag. Ich habe mir zwei Dinge auferlegt:
Wenn ich das Gefühl habe, dieser ganze Corona-Wahnsinn geht tatsächlich dem Ende zu, ganz analog einfach immer mal wieder das Fenster aufzumachen und „Hurra“ zu schreien. Außerdem habe ich mir vorgenommen, klar und analytisch zu schauen, was können wir aus dieser Zeit mitnehmen und lernen. In den Boden, auf dem wir bisher standen, müssen wir diese neuen Veränderungen einbringen und organisieren. Die Menschen brauchen das Gefühl, wir bewegen uns wieder in ein normaleres Leben, jetzt ist der Mist zu Ende mit diesem Corona. Dann wird es um die Frage gehen, welche Erfahrungen haben wir gemacht und was können wir in diesem normaleren Leben davon umsetzen.
»Ich glaube wir sind durch die Krise in einen Zeitenwandel hineingerutscht – was nehmen wir daraus jetzt Positives mit?«